12 Pflegerischen Gesten
25. Februar 2016
Dauerausstellung
8. Juni 2016
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Begleitung Sterbender

Medikamentöse Hilfen und Handreichungen aus der anthroposophischen Medizin und Pflege

Besonders die Begleitung Sterbender ist am Menschenbild der Pflege orientiert. Das Wissen um die nachtodliche Existenz des Menschen beeinflusst die Haltung und das praktische Handeln des Begleiters. Sterbehilfe als absichtliche Beendigung eines Menschenlebens verkennt die Bedeutung des Lebens, auch des leidvollen Lebens, für den Sterbenden. Pflege in diesem Sinne ist immer Lebensbegleitung. Das Sterben ist wie die Geburt keine Krankheit sondern ein an sich urgesunder Lebensprozess. Seine natürlichen Symptome dürfen verständnisvoll hingenommen werden. Medikamentöse und pflegerische Maßnahmen sollen dem Sterbenden helfen, die manchmal mit dem Sterbeprozess einhergehenden Krankheitserscheinungen zu heilen oder zu lindern. Sie wollen nicht den Todeszeitpunkt beeinflussen.

Schwäche

Schwäche ist ein natürliches Symptom des Sterbeprozesses. Sie kann aber als sehr quälend empfunden werden, besonders wenn der Sterbende Kräfte für Gespräch, Wachheit oder für körperliche Aktivitäten wie die Körperpflege, die Ausscheidungen oder das Sich- Drehen im Bett benötigt. Oft wird die Last des eigenen Körpers schon im Liegen als bedrängend empfunden. Belebend und kräftigend wirken Hand- und Fußbäder mit warmem (selten mit kühlem) Wasser, behutsame Abwaschungen des Rückens, schluckweise oder mit dem Löffel verabreichte Getränke nach dem Geschmack des Sterbenden, Lagerung in sitzender Position mit Hochlagerung der Arme auf Höhe des Herzens. Im seelischen Bereich wirken Zuspruch und Lob kräftigend. Hoffnungsgestimmte Bilder und kleine erreichbare Ziele können Kraftreserven freisetzen. Medikamentös wirkt Arsenicum album in homöopathischer Dosierung kräftigend.

Kälte

Bei vielen Sterbenden kündigt sich der Tod durch ein von unten nach oben fortschreitendes Auskühlen der Beine und später auch der Arme und des Kopfes an. Die Marmorierung der Extremitäten gehört ebenfalls zu diesem Vorgang. Mit der Kälte ist oft ein Gefühlloswerden der Gliedmaßen verbunden. Warme Fußbäder oder Fußeinreibungen mit Lavendelöl oder Kupfersalbe bringen hier Erleichterung, die aber oft nur kürzere Zeit anhält. Wollsocken, die aber keinesfalls beengen dürfen, können die Wärmewirkung verlängern. Auch eine Wärmflasche kann Hilfe bringen (Vorsicht Verbrennungsgefahr bei schlechter Durchblutung und Wahrnehmungsstörungen!). Medikamentös können potenzierte Mistelinjektionen oder Phosphor in homöopathischer Dosierung Linderung bringen.

Hitze

Das Bedürfnis des Sterbenden die Bettdecke wegzuschlagen und sich auszuziehen ist meist nicht auf Hitzewallungen zurückzuführen sondern oftmals Ausdruck der Seele, die Leibeshülle abzustreifen. Die eher seltenen Hitzewallungen können mit kühlen Abwaschungen mit Zitronenzusatz oder kühlen Getränken gemildert werden. Ein leichtes Laken oder Seidentücher können Hülle geben ohne durch Gewicht oder Wärmestau zu belasten.

Starre

Bewegungslosigkeit, bedingt durch Schwäche, Schmerz oder Bewusstseinstrübung kann als Einkerkerung in den Leib empfunden werden. Das Bewegen der Gliedmaßen in ruhigen, geführten Bewegungen, das Aufsitzen an den Bettrand oder im Lehnstuhl, häufiges Lagern, rhythmische Einreibungen der Gelenke oder das Ausstreichen von Händen und Füßen sowie ein warmes Bad schenken Entspannung und Lösung.

Appetitlosigkeit

In den meisten Fällen lässt das Bedürfnis nach Nahrung im Sterbeprozess nach. Es kann so viel Nahrung gegeben werden, wie der Sterbende zu sich nehmen kann ohne an Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall zu leiden. Dies gilt auch für die Ernährung über Sonde oder Infusionen. Es sollten nur kleine bis kleinste Mengen pro Mahlzeit gereicht werden. Dabei kann man gerne auf die manchmal ausgefallenen Wünsche des Sterbenden eingehen, sollte allerdings nicht enttäuscht sein, wenn von dem gewünschten, dann doch nur wenige Bissen gegessen werden oder schon der bloße Anblick oder der Geruch der Speise sättigt. Wenige Tropfen Amara (Weleda) oder Bitterelixier (Wala) regen den Appetit an und stärken die Verdauungskraft. Bei saurem oder nervösem Magen haben sich Bolus alba (Wala) oder Pulvis stomachicum cum belladonna (Weleda) bewährt.

Durst

Häufig haben Sterbende Durst nach kühlen Getränken, manchmal ist er unersättlich. Mineralwasser, Limonaden, Fruchtsäfte mit und ohne Kohlensäure können in einem geeigneten Trinkgefäß gereicht werden. Oft kann auch Flüssigkeit nur löffelweise getrunken werden. Wenn der Durst unstillbar ist und es zu Wassereinlagerungen in den Unterschenkeln oder im Kreuzbeinbereich kommt, oder wenn Atemnot eintritt, sollte man auf kühle Getränke verzichten und heißen Tee reichen. Ist eine Flüssigkeitsbeschränkung ärztlich verordnet, kann der Durst durch das Lutschen einer Zitronenscheibe gemildert werden.

Mundtrockenheit

Appetitlosigkeit, das Atmen durch den offenen Mund und Medikamentennebenwirkungen sind die Hauptursachen der Mundtrockenheit. Linderung bringt die regelmäßige Mundspülung mit Salbeitee oder einer Lösung mit Ratanhiaessenz (Ratanhia comp. (Weleda), 2-5 Tropfen auf 1Glas Wasser). Mischungen aus Wasser, Glycerin und Zitronensaft gehören ebenso zu den bewährten Mitteln wie das Auswischen des Mundes mit Tees und verdünnten Säften. Bei Schleimhautaphten und wunden Stellen am Zahnfleisch hilft das Wala Mundbalsam (Wala). Die regelmäßige Lippenpflege mit einem Pflegestift (z.B. Everon Lippenpflege (Weleda) oder einer Fettcreme (möglichst keine vaselinehaltigen Produkte benützen) schützt vor Rissen und Schrunden.

Obstipation

Verstopfung kann eine erhebliche Belastung für den Sterbenden sein. Sie ist auch eine häufige Ursache für die Appetitlosigkeit. Auf regelmäßige Darmentleerungen (alle 3 Tage) sollte deshalb geachtet werden. Häufig ist es nicht möglich durch reichliches Trinken, und ballaststoffreiche Ernährung den Stuhlgang zu regulieren, so dass auf Abführmittel (z.B. Laktulosesirup) nicht verzichtet werden kann. Oft ist ein Klistier weniger belastend für den Sterbenden als ein oral gegebenes Abführmittel, dessen Wirkungseintritt nicht leicht zu berechnen ist. Völlegefühl und Blähungen lassen sich gut mit feucht- warmen Bauchwickeln mit Oxalisessenz oder mit Fenchel-Anis- Kümmeltee behandeln. Auch rhythmische Baucheinreibungen mit Oxalissalbe oder mit Kümmelöl haben sich bewährt.

Durchfall

Wenn die Nahrung nicht mehr verdaut wird, kommt es zu Durchfällen, denen der Sterbende, besonders der sehr geschwächte oder bewusstseinsgetrübte, schutzlos ausgeliefert ist. Die Reduktion oder der gänzliche Verzicht auf Nahrung ist oftmals eine angemessene Maßnahme. Über eine Infusionstherapie zum Flüssigkeitsersatz entscheidet der Arzt. Manchmal bringen Opiumtropfen (sie unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz) Linderung.

Atemnot

In der letzten Phase des Sterbeprozesses wird die Atmung flach und die Atemfrequenz sinkt. Auch an- und abschwellende Atemrhythmen können auftreten oder sehr tiefe, seufzende Atemstöße mit längeren Pausen. Sie sind in der Regel nicht Ausdruck von Atemnot. Die Sterbenden sind dabei ruhig, in sich gekehrt, teilweise wie schlafend.
Diese Atmung ist Ausdruck der Ablösung der Seele vom Leib und nicht behandlungsbedürftig. Demgegenüber kann in früheren Stadien des Sterbeprozesses eine Atemnot auftreten, die zu Angst und Panik führt. Unter dieser Atemnot leidet der Sterbende heftig. Meist ist diese Atemnot Symptom einer bestehenden Erkrankung, wie Herzinsuffizienz, Asthma oder Lungenmetastasen. Sauerstoffgaben bringen hier Erleichterung. Rhythmische Einreibungen des Rückens, der Brust oder der Arme wirken schleimlösend, beruhigend und entängstigend. Zur Einreibung eignen sich Bronchialbalsam (Weleda) oder Plantago Bronchialbalsam (Wala). Injektionen mit Carbo betulae in homöopathischer Dosierung können erstaunliche Linderung bringen.

Schmerz und Angst

Ähnlich wie die Atemnot verklingen in der Regel körperliche Schmerzen mit dem Nahen des Todes. Häufig werden deshalb in der letzten Phase des Sterbens keine oder deutlich weniger Schmerzmittel gebraucht. Schmerz hat im Sterbeprozess einen doppelten Charakter. Einerseits können körperliche Ursachen wie eine Krebsgeschwulst im Vordergrund stehen, andererseits können sich Trauer und Angst schmerzhaft in den Leib hineinbohren. Neben der medikamentösen Schmerztherapie sind deshalb das Gespräch mit Vertrauten, die Begegnung mit Angehörigen und Freunden und das Gebet wesentliche Hilfen. Entängstigend und hüllend wirken zudem rhythmische Einreibungen besonders mit Solum Öl (Wala). Auch als Wickel auf schmerzenden Organen hat sich dieses Öl sehr bewährt.

Wundliegen

Bewegung, Aufstehen, Sitzen und regelmäßiges Umlagern, Druckentlastung von Gesäß, Hüften, Schultern, Ohren, Fersen, Knien und Ellbogen, sowie sorgsame Hautpflege (z.B. mit Calendula-Echinacea-Salbe (Helixor)) schützen vor dem Wundliegen. Trotz bester Pflege kann das Wundliegen im Sterbeprozess gelegentlich nicht verhindert werden. Es ist letztlich Ausdruck eines partiellen Sterbens. Die Achtung vor dem Leib als dem Tempel des menschlichen Geistes lässt jedoch keine Anstrengung unversucht, den Leib unversehrt bis zum Tod zu erhalten.

Lebenshunger und Todessehnsucht

Der Sterbeprozess verläuft für viele als eine Gratwanderung zwischen Lebenshunger und Todessehnsucht. Jede Alltagshandlung, die den Sterbenden mit den Gaben dieser Welt verbindet, das Atmen, die Wärme, die Nahrung, die Schönheit der Natur und der Kunst, das Gespräch, die Liebe unterstützt den Sterbenden in dieser urgesunden, urmenschlichen Lebensbejahung. Jeder geistvolle Gedanke, jedes wahrhaftige Bild, jede Erkenntnis und Weisheit begleitet den Sterbenden in die Freiheit vom Leib. Der Rhythmus von Sich-Verbinden und Lösen, wie er in jedem Atemzug, in jedem Herzschlag und letztlich auch im Zusammenklang von Geburt und Tod erscheint, kann auch im Sterbeprozess gestört sein. Von der körperlichen Seite können hier wiederum rhythmische Einreibungen den Rhythmus von Sich verbinden und lösen unterstützen. Sie wirken als eine Art Urbild für Inkarnation und Exkarnation. In diesem Sinne hilft auch die Gabe von Gold (Aurum metallikum präparatum) in homöopathischer Dosierung. Gold verbindet in sich die größte Dichte in der physischen Substanz mit der größten Leuchtkraft, es erweckt im Menschen gleichermaßen materielle Begehrlichkeit und sakrale Empfindungen. Es hilft dem Sterbenden die Mitte zu finden zwischen den Kräften, die ihn auf der Erde halten und jenen die ihn in die geistige Welt hinaufziehen. In dieser Mitte ist er frei sein Schicksal zu bejahen. Die Anwendung von Gold ist auch als Zugabe bei Morphiuminjektionen angezeigt, erleichtert dessen Verträglichkeit und senkt oftmals den Bedarf. Auch in Form eines Herz- Salbenlappens ist die Anwendung von Gold eine echte Hilfe im Sterbeprozess. Die Lösungsprozesse beim Sterbenden sind sehr individuell. Ein geistig aktiver Mensch kann z.B. entschlossen auf seinen Tod zugehen. Vielleicht ahnt er sogar die Todesstunde und bereitet sich innerlich darauf vor. So kann das Sterben kurz und kraftvoll sein. Einem Menschen, der ganz im Alltag aufgegangen ist und mit seinen Gewohnheiten überwiegend am Materiellen hing, wird es meist schwerer fallen sich vom Irdischen zu lösen. Ein durch eine Demenzerkrankung gezeichneter Mensch, der schon auf Erden „weit weg“ ist und in einem anderen Bewusstseinszustand lebt, muss unter Umständen einen langen Lösungsprozess durchmachen. Um diesen Lösungsprozess zu erleichtern, ist die Fußeinreibung eine eindrucksvolle Hilfe. Während des Sterbens treten zwei polare Prozesse auf: Einerseits zieht sich der Wärmeorganismus von der Peripherie nach innen zurück; Füße, Hände und Nase erkalten. Dieser Prozess verläuft von unten nach oben. Ihm kommt ein polarer, von oben nach unten gerichteter Prozess entgegen: die Einatmung wird verstärkt. Die Seele atmet sich tief in den Leib hinein, um den Lebensleib (Ätherleib) aus dem physischen Leib zu lösen. Oft ist dieser Vorgang von Angst und Unruhe begleitet. In diesen Prozess hinein wirkt die Rhythmische Einreibung nach Wegman / Hauschka beruhigend und lösend. Sie durchwärmt die Füße und regt die Ausatmung an, wirkt durch ihre rhythmische Qualität harmonisierend und ausgleichend. Eine solche Fußeinreibung kann die Situation des Sterbenden grundlegend verändern. Der Sterbende wird darin unterstützt, aktiv und selbstbestimmt die Lösung zu vollziehen.

© 2009 Rolf Heine www.vfap.de